Der blinde Fleck – Feedback ist goldwert

Immer, wenn wir mit Menschen oder Menschengruppen interagieren, stellen wir uns auf die eine oder andere Weise dar. Dabei vergessen wir jedoch, dass uns einige Aspekte, die wir ausstrahlen, gar nicht bekannt sind: das ist der blinde Fleck in unserer Selbstwahrnehmung. Dieser beschreibt alle Aspekte, die zwar uns unbekannt sind, andere Menschen aber sofort wahrnehmen können – zum Beispiel bestimmte Verhaltensmuster oder rhetorische Gewohnheiten. Haben Sie zum Beispiel schon mal Ihre eigene Sprachaufnahme bei WhatsApp angehört und dachten sich, die eigene Stimme klingt schrill, komisch und fremd? Das hängt damit zusammen, dass die eigene Stimme meist in den Bereich des blinden Flecks fällt (vgl. Pabst-Weinschenk 2011b, 72). Auch unser Äußeres ist uns unbekannter als wir glauben: zwar sehen wir uns jeden Tag im Spiegel, jedoch ist die Sicht verfälscht, denn wir sind „[…] nicht unbeobachtet, sondern wir machen meistens ein besonderes Gesicht, wenn wir uns anschauen. Zudem ist das Spiegelbild immer auch seitenverkehrt“ (Pabst-Weinschenk, 2009, 15). Der Ausdruck blinder Fleck kommt aus dem Bereich der gruppendynamischen Arbeit und gehört zum Modell Johari-Window (von Joe Luft und Harry Ingham). Das Modell zeigt ein Fenster, das in vier Teile getrennt ist und die eigene Persönlichkeit und Verhaltensmerkmale gliedert. Es gibt den Bereich, der sowohl mir als auch meinem Gegenüber bekannt ist und einen, der niemandem bekannt ist. Gleichzeitig existiert ein Teil, der nur mir bekannt ist und einen, den nur mein Gegenüber kennt – für mich ist es ein blinder Fleck (vgl. Antons 2000, 111).

Wieso ist dieser uns unbekannte Bereich für unsere Selbstwahrnehmung so wichtig? Das Unbekannte kann man nicht verändern oder für sich nutzen: Wie wirken wir auf andere, wie nimmt man unser Verhalten und Sprechweise wahr? Komme ich überhaupt so rüber, wie ich es will, oder sollte ich etwas verändern? Nur, wenn wir den blinden Fleck für uns zugänglich machen, können wir eine realistische Einschätzung der eigenen Person machen und so eventuell Lernziele formulieren (vgl. Pabst-Weinschenk 2011b, 72).

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Wie können wir also den blinden Fleck für uns aufdecken? Wir müssen uns mit anderen Augen und von außerhalb kennen lernen: Machen Sie hierzu eine Audio- oder Videoaufnahme von sich, während Sie eine Rede halten. Vielleicht steht Ihnen tatsächlich ein Vortrag bevor, den Sie so üben können, oder Sie bereiten eine Rede zu einem beliebigen Thema vor. Der Vorteil der Videoaufnahme ist, dass Sie sowohl Ihre Körpersprache als auch Ihren Sprechstil analysieren können. Zusätzlich können Sie Freunde oder Familie bitten, die Rede anzuhören und Ihnen ein Feedback zu geben. Auf diese Weise können Sie Ihre Selbstwahrnehmung mit Ihren Eindrücken von der Aufnahme und der Fremdwahrnehmung vergleichen. Das Feedback der anderen können Sie zusätzlich explizit steuern: Sagen Sie dem Publikum zum Beispiel, worauf genau sie achten sollen oder aber, sie stellen nach dem Vortrag genaue Fragen, wie zum Beispiel:

  • Hat etwas an meiner Redeweise gestört?
  • Wie waren die Tonlage und das Sprechtempo?
  • Wirkte ich nervös und wenn ja, was genau hat darauf hingedeutet?
  • Welche Aspekte sind besonders positiv aufgefallen?

Sie werden feststellen, dass Sie anders wirken, als Sie denken. Vergleichen und analysieren Sie alle Wahrnehmungen, so können Sie unbekannte Stärken und Schwächen aufdecken und so Ihren tatsächlichen Ist- und Soll-Zustand der Redefähigkeit ausfindig machen. Wichtig ist es, sowohl positives als auch konstruktiv negatives Feedback ernst zu nehmen. Wir neigen dazu nur die negativen Aspekte in Erinnerung zu behalten, auch wenn vielleicht mehr positives genannt wurde, denn in den meisten Fällen bewerten wir uns selbst strenger. Gestehen Sie sich also zu, auch über Stärken in der Redefähigkeit zu verfügen und glauben Sie dem Feedback. Denken Sie jedoch daran, dass es wahrscheinlich nicht auf Anhieb funktionieren wird, denn: „Eigene Stärken zu erkennen, ist in aller Regel ein länger andauernder, manchmal mühseliger Prozess, der aber immer, eine lohnende Investition in die eigene Zukunft darstellt“ (Schreuder 2012, 71). Konstruktive Kritik können Sie nutzen, um an Ihren Schwächen zu arbeiten. Kritik ist jedoch nicht gleich konstruktive Kritik, die bestimmte Kriterien erfüllen muss (vgl. Pabst-Weinschenk 2012a, 33). Es liegt dabei immer in Ihrem Ermessen, das Feedback umzusetzen oder nicht, denn es ist immer subjektiv.

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